Die Philipps-Universität hat (so etwas wie) eine eigene Zivilklausel!
Zwar mag das von Seite der universitären Verwaltung kein Mensch so nennen, de facto haben die Diskussionen des vergangenen Jahres und auch der Druck der Studierendenschaft aber genau dies bewirkt: Am 17. Dezember 2014 verabschiedete der Senat der Uni eine Zivilklausel, mit einer ziemlich ausformulierten Erörterung darüber.
Genannt wird das Gesamtpaket in Zukunft „Grundsätze und Verfahrensregeln der Philipps-Universität zum verantwortungsvollen Umgang mit Forschungsfreiheit und Forschungsrisiken“. Im Folgenden möchten wir die zentralen Punkte der Grundsätze zusammenfassen und jeweils im Anschluss eine Bewertung der Stärken und Schwächen vornehmen.
Die vollständigen Grundsätze findet ihr unter:
http://www.uni-marburg.de/administration/amtlich/02_2015.pdf.
Wir fassen zusammen:
- Zivilklausel
„Die Philipps-Universität Marburg bekennt sich darin zu ihrer Verpflichtung, zum Schutz verfassungsrechtlich gesicherter Güter – der Menschenwürde sowie der unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt (Artikel 1 Absatz 1 und 2 Grundgesetz) beizutragen. Sie bekennt sich weiter zur Förderung des friedlichen Zusammenlebens der Völker und somit zu dem Verbot aller Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten (Artikel 26 Abs. 1 Grundgesetz). Forscherinnen und Forscher müssen sicherstellen, dass ihre Forschung nicht unmittelbar der Vorbereitung oder Führung eines Krieges dient.“
Dieser Teil stellt den für uns zentralsten Abschnitt der Grundsätze dar. Wie in klassischen Zivilklauseln werden hier Grundsätze und Leitlinien der universitären Forschung definiert. Besonders hervorgehoben werden die Menschenrechte, Frieden und Gerechtigkeit. Darüberhinaus wird eindeutig formuliert, dass die Vorbereitung von (Angriffs-)kriegen verboten ist. Leider wird der Abschnitt abgeschlossen mit einem Satz, der die Forscher_innen nur dazu verpflichtet sicherzustellen, dass ihre Forschung nicht „unmittelbar“ der Vorbereitung von Kriegen dient. Obwohl dieser Satz unserer Meinung nach im Widerspruch zum Beginn des Abschnitts steht, sehen wir die Gefahr des Missbrauchs desselben. Forscher_innen müssen sich auch der Folgen bewusst sein, die ihre Forschung mittelbar haben kann. Mit diesem Satz hätte auch argumentiert werden können, dass das mittlerweile sehr bekannte, vom US-Verteidigungsministerium finanzierte Heuschreckenprojekt in der Biologie nicht unmittelbar Kriegen dient. Die Grundsätze werden durch dieses Wort leider kalkuliert (das war unser Eindruck) unterhöhlt.
Gleichzeitig wird an einer anderen Stelle auch der Schutz vor der mittelbaren Gefahr für die oben genannten Verfassungsgüter betont:
„Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen daher eine – unmittelbare und mittelbare – Schädigung von schutzwürdigen Gütern soweit wie möglich vermeiden oder vermindern.“
- Forschungskooperation – mit wem?
„Maßnahmen zur Risikominimierung können auch darin bestehen, dass einzelne Forschungen nur für oder nur mit bestimmte(n) Kooperationspartner(n) im In- und Ausland durchgeführt werden. Zur objektiven Einschätzung sollen hier insbesondere die SIPRI‐Liste (Ranking der größten Rüstungshersteller des Stockholm International Peace Research Institute – SIPRI) und Ausfuhrverbote der Bundesregierung dienen.“
Unserer Meinung nach gefährden Forschungen für Verteidigungsministerien und Militärs generell die oben genannten Verfassungsgüter und unmittelbar wie auch mittelbar den Frieden. Kooperation mit ihnen sollte demnach logischerweise auch umgangen werden. Für einen Überblick, welche weiteren Institutionen kriegerische Verantwortung tragen können, erscheint uns auch die SIPRI-Liste als sinnvoller Anhaltspunkt. Dennoch darf auch hier die Debatte um Rüstungsgüter nicht anhalten: eigenständige und fortgesetzte Bemühungen der Universität, sich mit den Versuchen der Beeinflussung auseinanderzusetzen, sind aus unserer Sicht auch weiterhin einzufordern. Zum Beispiel muss auch der direkte Einfluss kleinerer Rüstungsproduzenten ausgeschlossen werden können.
- Transparenzgebot
„Eine wissenschaftlich erfolgreiche Forschung erfordert weiter Transparenz (Transparenzgebot), vor allem durch einen freien Informationsaustausch und die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen.“
Forschung ist in aller Regel zu veröffentlichen und die Publikationsrechte liegen bei den Forschenden. Dies ist eine Stärke der Grundsätze. Nur in krassen Fällen, in denen die Veröffentlichung selbst Gefahr bürgen würde (wie z.B. im Fall mancher Virenforschung), kann sie verschoben oder (teils) unterbunden werden.
- Verantwortung von Forschung in Curricula und Öffentlichkeit
„Die Philipps-Universität Marburg sieht die Notwendigkeit und Anforderung an sich selbst als Institution, die Rechtsvermittlung und -bewusstseinsbildung aktiv zu unterstützen. Bereits Studierende sollen nicht nur in die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis eingewiesen werden, sondern gleichermaßen in den verantwortungsvollen Umgang mit Forschung. Dies soll in den Curricula der Studiengänge verankert werden.“
Darüberhinaus bietet MARA (Marburg Research Academy) für Wissenschaftler_innen in allen Qualifizierungsphasen Fortbildungen an. Neuberufene Profs sollen über die Grundsätze informiert werden und die Uni führt regelmäßig Veranstaltungen zur Sensibilisierung durch.
- Ethikkommission und Forschungsfreiheit
„Die Philipps-Universität Marburg richtet eine unabhängige hochschulinterne Kommission „Forschung und Verantwortung“ ein [, um] in ethischen Zweifelsfragen im Zusammenhang von Forschungsaktivitäten zu beraten und ggf. zur Wahrung ihrer Rechte beizutragen.“
Die Kommission kann keine bindenden Entscheidungen bezüglich der Fortführung der Forschung treffen, allerdings kann sie Empfehlungen aussprechen. Sie kann von allen am betroffenen Projekt beteiligten Menschen mit der Prüfung befasst werden. Dabei müssen die von der Prüfung betroffenen Forscher_innen von diesem Vorgang unterrichtet werden. Darüberhinaus ist sie damit beauftragt unter anderem durch öffentliche Veranstaltung über die Grundsätze zu informieren und die Diskussion um das Thema der Verantwortung von Wissenschaft an der Uni weiterhin zu unterstützen. Die Zusammensetzung der Kommission ist bei einer Professor_innenmehrheit 4:1:1:1 (Profs, Mittelbau, Studis, Verwaltung/Technik). Entscheidungen sind sowohl mit einer Mehrheit der sieben Stimmen als auch gleichzeitig mit einer Mehrheit der Profs zu verabschieden. Expert_innen können beratend hinzugezogen werden. Diese undemokratische Zusammensetzung und das Quorum kritisieren wir kräftig!
- Whistleblowing/Informantin
„Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber (so genannte Whistleblower) dürfen daraus keine Nachteile für das eigene wissenschaftliche und berufliche Fortkommen erfahren.“
Das Zitat spricht für sich. Die Kommission kann dabei eigentlich „nur“ von Mitarbeiter_innen im jeweiligen Projekt angerufen werden. An anderer Stelle betonen die Grundsätze allerdings, dass jede_r Angehörige der Philipps-Universität die Projektverantwortlichen, auch deren Vorgesetzte, den Fachbereichsrat oder „ein zentrales Organ der Universität“ unterrichten kann.
- Forschungsverzicht als letztes Mittel
„Im Einzelfall kann die verantwortliche Entscheidung der Forscherin oder des Forschers allerdings zur Folge haben, dass – falls keine anderen Schutzmechanismen bestehen – ein hochrisikoreiches Projekt erst nach einem Forschungsmoratorium zu einem späteren Zeitpunkt oder auch gar nicht durchgeführt wird, selbst wenn ihm kein gesetzliches Verbot entgegensteht.“
„Hochrisikoreich“ für Menschenrechte und das friedliche Zusammenleben der Menschen sind definitiv Projekte im Auftrag oder durchgeführt für militärisch relevante Institutionen und Unternehmen. Sie sind auch aus dem Text der Grundsätze heraus abzulehnen.
- Weitere Fortführung der Diskussion, kontinuierliche Anpassung
„Die hochschulinterne Kommission „Forschung und Verantwortung“ fördert die Verbreitung der hier formulierten „Grundsätze und Verfahrensregeln“ und beteiligt sich an der Konzeption von Veranstaltungen für die Mitglieder der Universität und die Öffentlichkeit [und] regt den interdisziplinären Diskurs an.“
Als durch die Grundsätze institutionalisiertes Gremium hat nun die Kommission die Aufgabe den öffentlichen Diskurs an der Uni weiterhin anzuregen. Gleichzeitig liegt es in der Verantwortung aller kritischen Angehörigen der Universität sich darauf nicht auszuruhen und weiterhin für friedliche Wissenschaft in Marburg zu engagieren, die Augen und Ohren offenzuhalten und die Stimme zu erheben. Der öffentliche Auseinandersetzung entsteht erst durch unsere öffentliche Beteiligung.
Generelle Kritikpunkte:
Die verabschiedete Zivilklausel verankert zwar Grundsätze der Forschung und nimmt die gesamte Universität (darunter verstehen wir auch die Verwaltungsebenen) in die Verantwortung, für deren Einhaltung Sorge zu tragen, ein generell antimilitaristisches Argument findet sich aber nirgends. Es wird auch hier weiterhin an der Möglichkeit der Selbstverteidigung und der generellen Möglichkeit des Krieges festgehalten. So sehr wir verstehen, dass daraus auch ein gesellschaftliches Spiegelbild spricht, so sehr kritisieren wir den fortgesetzten Glauben in die Berechtigung zu Gewaltmitteln. Der Besitz, Anwendung und Ausbau der Gewaltmittel für jegliche Parteien öffentlichen wie privaten Lebens sind unseres Erachtens abzulehnen. Auch diesem Grundsatz sollte sich universitäres Handeln eigentlich einstimmig verpflichtet fühlen.
Selbst wenn der Staat als gesellschaftliche Realität besteht und sich formell auf die Legitimität des Gewaltmonopols gründet, so ist die Durchsetzung durch Gewaltmittel zu kritisieren. Art.1 GG muss auch für den Besitz an Gewaltmitteln gelten.
Die Grundsätze der Universität umfassen nicht die Lehre, die Ausrichtung auf den Frieden ist nicht damit verknüpft, was gelehrt wird. Indirekt erkennen wir in der Aufklärung der Studierenden über negative Auswirkungen und die Ethik der Forschung auch den Willen, sich mit der Lehre zu beschäftigen, den Sprung hin zu einer proaktiv friedlichen Lehre (egal, ob nun dem Frieden dienlich, auf den Frieden ausgerichtet, friedlich, den Frieden zum Ziel habend, oder andere Formulierungen) allerdings gehen die Grundsätze nicht mit.
Darin erkennen wir einen grundlegenden Mangel der Zivilklausel. Neben militaristischen Strukturen innerhalb der Universität (Hochschulgruppen) gibt es auch kontinuierliche Versuche, die Universitäten zu Rekrutierungsposten für das Militär zu machen. Das ist international Praxis und umfasst vielerlei Lebensbereiche. Die Normalisierung des Militärs und anderer gewaltvoller Akteure beginnt oft schon in der Schule durch den Einsatz der Jugendoffiziere. In Deutschland sprach lange das Argument des „Bürgers in Uniform“ (sic!, im Übrigen auch gänzlich ohne Themen wie geschlechterbasierte oder gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit beziehungsweise Rassismus mit einzubeziehen) für eine aktive Auseinandersetzung mit dem Militär. Dass jedoch genau dieses Bild des „Bürgers in Uniform“ auch zu einer verharmlosenden Normalisierung der Gewaltstrukturen von Gesellschaft und Staat führt, wurde nur sehr selten kritisiert.
Dieser Normalisierung muss auch in der Lehre an der Universität Einhalt geboten werden. Damit wollen wir keinesfalls dafuer plädieren, Lehrinhalte zu verbieten, sondern vielmehr, gemeinsam in einen reflektierten Umgang mit den Themen der Gewalt, Waffen und Militärischer Strukturen zu treten. Weshalb erscheint es notwendig, das Militär in Veranstaltungen einzuladen? Welche Probleme ergeben sich für Forschung und Lehre, wenn Strukturen des Militärs (aber auch anderer Akteure) sich in universitäre Belange einzumischen versuchen?